Was wir aus der Team- und Führungskräfteentwicklung für die Corona Krise lernen können

Hören Sie auch immer mehr von der Spaltung der Gesellschaft in unseren Medien, wenn es um den Umgang mit der Corona Krise nach dem Lock Down geht? 

 

Ist es so, dass in dieser angespannten Situation gewisse Dinge nicht mehr zusammen passen: Daten/Fakten mit Emotionen, Gemeinschaft mit Individualität? 

 

Und diejenigen, die die Weichen für die nächste Phase stellen sollen: unsere Politiker; Erreichen sie noch die gesamte Gesellschaft?

 

Immer mehr fallen mir Parallelen zwischen diesen Fragestellungen und Werkzeugen auf, die wir in der Teamentwicklung und Führungskräfteentwicklung verwenden: Werkzeuge, die auf dem Präferenzmodell von C.G. Jung basieren. Jungs Arbeit besagt unter anderem, dass unsere Persönlichkeit geprägt ist von Präferenzpaaren. Je nachdem tendieren wir eher zu der einen oder anderen Ausprägung eines Paares.

 

Zwei dieser Präferenzpaare sind:

 

Denken <-> Fühlen

 

sowie

 

Extraversion <-> Introversion

 

Beim Paar „Denken und Fühlen“ fragen wir uns, wohin unsere Tendenz geht, wenn wir Entscheidungen treffen. Praktisches Beispiel: Sie möchten ein Auto kaufen. Wohin tendieren Sie? Lesen Sie sich erst die Automagazine durch und schauen Sie nach den Verbrauchszahlen, analysieren Sie die Kosten; oder sind Sie der Typ, der ins Autohaus geht und sagt: „Was für ein tolles Auto!“?

Klar, wir alle sind nicht nur das Eine oder das Andere – also entweder Denken oder Fühlen - sondern eine Mischform. Aber wir stellen in der Regel eine Tendenz in die eine oder andere Richtung bei uns fest, also unsere Präferenz.

 

Beim Paar „Extraversion und Introversion“ wäre die Frage: Woher beziehen Sie Ihre Energie? Sind Sie jemand, der sich nach einem stressigen Tag in eine ruhige Ecke setzt und ein Buch liest und dadurch neue Energie gewinnt? So, als ob Sie einen Stecker in sich selbst stecken würden.

Oder sind Sie in Richtung Extraversion eher jemand, der neue Energie im Kontakt mit Anderen tankt, also z.B. nach einem Arbeitstag noch mit Freunden weggeht?

 

Je nachdem wohin wir bei beiden Präferenzpaaren tendieren, lassen sich dadurch Rückschlüsse über unsere Bedürfnisse ziehen.

So kann jemand mit Tendenz zu der „Fühlen“-Seite in der Regel weniger mit Daten anfangen oder wird durch sie sogar verunsichert. Wogegen jemand mit Präferenz Denken genau diese Zahlen, Daten und Fakten benötigt, um überzeugt eine Wahl zu treffen.

 

Wenn im Folgenden von den „Denkenden“ die Rede ist, dann spreche ich von Personen, deren Tendenz in Richtung der denkenden Präferenz tendiert. Analog bei den „Fühlenden“, den „Extravertierten“ und den „Introvertierten“. Es sei hier aber noch einmal betont,  dass es keine Stereotypen gibt, die ausschließlich so handeln.

 

In Stress- und Krisensituation verstärken sich unsere Tendenzen. Schauen wir uns beispielhaft die aktuelle Corona-Krise an. Was ist da jetzt, nach ca. 6 Wochen Einschränkungen, plötzlich los? Warum haben gefühlt alle erst still gehalten? Warum regt sich jetzt auf einmal Widerstand? Warum geht es manchen von uns gefühlsmäßig (relativ) gut? Warum sitzen andere „wie auf heißen Kohlen“ und können „die Füße nicht still halten“?

 

Die Meisten von uns haben mit Disziplin auf die Restriktionen rund um die Corona Krise reagiert. Für Introvertierte eh kein Problem... Selbst Extravertierte stellen in einer echten  Krisensituation ihre  Bedürfnisse häufig erst einmal zurück. Aber bei Letzteren kann dies nach einer gewissen Zeit dann umso heftiger umschlagen. Denn: Der Extravertierte braucht den Kontakt mit Anderen wie die Luft zum Atmen. Er wird durch einem virtuellen Kontakt über die sozialen oder elektronischen Medien nicht so glücklich sein und nicht so viel anfangen können wie ein Introvertierter. Dieser wiederum versteht nicht, warum der Extravertierte irgendwann nicht mehr die notwendige Disziplin aufbringen kann, einfach nur mit sich selbst zu sein und sich an „die Regeln“ zu halten.

 

Ein Denkender fühlt sich von den neuesten Corona-Daten des RKI angespornt, weiter diszipliniert zu sein. Mehr noch, er braucht die Daten als zwingende Information, um für sich Entscheidungen treffen und sich eine Meinung bilden zu können. Ein Fühlender dagegen verzweifelt eher, wenn Daten das Einzige zu sein scheinen, was Politiker zur Bewältigung der Krise heranziehen anstatt sich auch über Beziehungen Gedanken zu machen.

 

Was lernen wir nun aus diesem Modell für unseren Umgang mit der Krise: Dass sich Präferenzen, die wir zu jeder Zeit unser Eigen nennen, in der Krise in eine extreme Richtung entwickeln können. Dann entwickeln  wir uns unter Umständen noch mehr von denjenigen weg, mit denen wir auch unter normalen Umständen schon unsere Schwierigkeiten hatten 

 

Ich bin überzeugt, dass wir die Krise nur überstehen, wenn unsere Gesellschaft das Denken UND das Fühlen sowie sowohl das „Für-sich-sein“ als auch das Zusammensein als gleichwertig respektiert und jeweils beide Seiten bei den Entscheidungen zur Bewältigung der Krise berücksichtigt.

 

Für unsere Politiker bedeutet dies auch: Sie müssen sich in ihrer Kommunikation und ihrem Handeln genauso auf die unterschiedlichen Präferenzen einstellen, wie wir das von unseren Teams und Führungskräften in der Industrie verlangen. Ein Politiker, der auf 100% Sicherheit geht, sich ausschließlich auf Experten verlässt, die genauso denken, wird diejenigen verlieren, die auch mal ein optimistisches, emotionales Bild für das Licht am Ende des Tunnels sehen wollen.

 

Da verlangen wir verdammt viel von den Entscheidern; gleichzeitig ist dies auch verdammt wichtig, um die nächsten Wochen und Monate gemeinsam zu meistern.

 

Die gute Nachricht ist:

Keiner von uns und auch keiner der Entscheider muss seine Präferenz verleugnen. Aber wir müssen von uns verlangen und dürfen das von unseren Entscheidern, dass andere Präferenzen als die uns Eigenen, sowohl bei der Kommunikation als auch bei den Entscheidungen Berücksichtigung finden.